Meck-Pomm-Lese

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Trägerwerk-Skizzen

Wunderschöne Ansichten von 24 Einrichtungen der Trägerwerke für Soziale Dienste  - gezeichnet von Gerhard Klein

(2011, erschienen im Bertuch Verlag).

Heinrich Schliemann

Heinrich Schliemann

Florian Russi

Der berühmteste Mecklenburger: der Mann, der Troja wieder entdeckte

Heinrich Schliemann: Trojanische Alterthümer, Titelblatt der Erstausgabe von 1874
Heinrich Schliemann: Trojanische Alterthümer, Titelblatt der Erstausgabe von 1874

Er ist der wohl berühmteste Mecklenburger: Heinrich Schliemann, der Mann der Troja wieder entdeckte. Ein großer Teil der Fachwelt wollte ihn lange Zeit nicht anerkennen, doch heute gilt der 1822 in Neubukow geborene Pfarrerssohn als einer der Stammväter der Archäologie.

Von ihm habe ich erstmals als kleiner Junge gehört, als ein Piano-Händler, der meinem Vater ein Klavier verkaufen wollte, die Zeit, die er auf ihn warten musste, damit überbrückte, mir von seinem großen Vorbild zu erzählen. Demzufolge war Heinrich Schliemann der Sproß einer frommen Pfarrersfamilie, die wegen ihrer vielen Kinder in bescheidenen Verhältnissen lebte und dem hoffnungsvollen Sohn keine akademische Ausbildung ermöglichen konnte. Zu Weihnachten schenkte der Vater ihm die Werke Homers in griechischer Sprache, worauf der intelligente Knabe begann, eifrig das Alt-Griechische zu lernen und sich für Troja und die antiken Helden zu begeistern. Es erwachte in ihm der Traum, Troja wieder zu entdecken. Diesem Ziel ordnete er sein ganzes Leben und auch sein späteres gewaltiges Vermögen unter. Mein Vater hat mir diese Geschichte bestätigt und sie ergänzt. Immer wieder ist sie mir dann in Radio- und Fernsehsendungen, Zeitschriften und Büchern begegnet. Dabei musste ich jedoch nach und nach erfahren, dass sie nicht so idyllisch abgelaufen ist, wie sie mir zunächst dargestellt worden war.

Ernst Schliemann, Heinrichs Vater, war ein Pfarrer, der fromme Predigten hielt, ihnen aber offenbar selbst nicht zuhörte. Er war ein Ekel, das seine Frau misshandelte und betrog und alles andere als ein fürsorgliches Familienoberhaupt. Nach dem frühen Tod von Heinrichs Mutter verteilte er die Kinder bei seinen Verwandten und heiratete eine frühere Dienstmagd der Familie, mit der er zuvor fremdgegangen war. Nachdem Heinrich ihn später in seinem neuen Haushalt besucht hatte, schrieb er an seine Schwestern, dass dort ein ruchloses Leben und Treiben, Streit und Gewalt herrschten.
Auch die Geschichte vom großzügigen und so wirkungsmächtigen Weihnachtsgeschenk scheint nicht zu stimmen. Die Entscheidung, Troja zu entdecken und auszugraben, hat Heinrich Schliemann wohl erst getroffen, nachdem er bereits ein steinreicher Mann geworden war.

Dass es um ihn viele Missverständnisse gab und gibt, liegt vor allem an dem Mecklenburger selbst, der gerne Legenden um seine Person verbreitet hat. Dies aber ändert nichts an seiner historischen Bedeutung. 

Festzuhalten ist, dass er mit zehn Jahren Halbwaise wurde und in bescheidenen Verhältnissen aufwuchs. Ein Onkel nahm sich seiner an. Weil es an Geld fehlte, musste der aufgeweckte Junge den Besuch der höheren Schule abbrechen. Er ging zu einem Krämer in die Lehre, fand bei ihm auch eine Anstellung, musste die aber bald beenden, weil die Arbeit ihn überanstrengte und er beim Transportieren eines Heringsfasses Blut spuckte. Zu Fuß wanderte er wenig später nach Hamburg und bewarb sich dort bei einigen Handelsunternehmen. Er fand jedoch keine befriedigende Arbeitsmöglichkeit. Darauf fasste er den Entschluss nach Amerika auszuwandern. Mit einem kleinen Kredit seines Onkels buchte er Ende 1841 auf dem Dreimaster „Dorothea" die Seereise nach Venezuela. Die Dorothea strandete jedoch an der Insel Texel vor der holländischen Küste. Ihre Besatzung konnte gerettet werden.

Heinrich Schliemann und Wilhelm Dörpfeld am Löwentor von Mykene (ca. 1885)
Heinrich Schliemann und Wilhelm Dörpfeld am Löwentor von Mykene (ca. 1885)

Schliemann entschied sich, in Holland zu bleiben und verdingte sich in Amsterdam zunächst als Bürobote in einem Handelsunternehmen. Schnell erkannte er, dass Sprachkenntnisse für einen Handelskaufmann von größter Bedeutung waren und dass er über eine außergewöhnliche Sprachbegabung verfügte. So begann er Niederländisch, Spanisch, Italienisch und Portugiesisch zu lernen. Jede Nacht soll er laut geübt und vor sich hin deklamiert haben, so dass ihm mehrfach von den entnervten Vermietern die „Bude" gekündigt wurde. Im Jahr 1844 glückte es ihm, eine Anstellung bei der international tätigen Handelsgesellschaft B. H. Schröder & Co in Amsterdam zu bekommen.

Als seine Geschäftsherren auf den russischen Markt vordringen wollten und in Petersburg eine Filiale eröffneten, war Schliemann der einzige in der Firma, der die russische Sprache beherrschte. Deshalb entsandte man ihn als Filialleiter in die damalige russische Hauptstadt. Er wurde Partner von Schröder & Co, machte sich dann aber selbstständig und begann eine außerordentlich erfolgreiche Karriere. Vor allem mit dem Handel von Indigo, einem damals sehr beliebten blauen Farbstoff, aber auch mit Papier, Holz und Rohstoffen zur Herstellung von Munition verdiente er in kurzer Zeit ein gewaltiges Vermögen. Während des Krimkrieges (1853 - 1856) belieferte er die russische Armee, deren Gegner eine Seeblockade errichtet hatten, über den Landweg. Er selbst sprach und schrieb davon, dass ihn ein ungewöhnliches Glück begleitete. Als nach Beginn des Krimkrieges die Hafenstadt Memel nach einem Unwetter niederbrannte, blieb Schliemanns Warenlager wie durch eine Fügung als einziges verschont.

Nachdem in Kalifornien ein Goldrausch ausgebrochen war und sich auch einer seiner Brüder dort geschäftlich engagiert hatte, verdiente Heinrich Schliemann beträchtliche Summen, indem er Goldsuchern Kredite gewährte und das von ihnen gefundene Gold günstig ein- und mit großem Gewinn weiterverkaufte. Auch investierte er in den Vereinigten Staaten und in Cuba erfolgreich in den Bau von Eisenbahnnetzen.

Die geschäftlichen Engagements konnten Schliemann jedoch auf Dauer nicht befriedigen, sondern verursachten ihm, wie er selbst schrieb, schließlich einen gewissen Ekel. Er suchte nach neuen Aufgaben. Inzwischen beherrschte er 18 Sprachen, darunter Arabisch, Latein, Neu- und Altgriechisch. Es drängte ihn, dem das Schicksal als Jugendlichem den Zugang dazu verweigert hatte, in die Wissenschaft. Er beschloss, sein Vermögen dafür einzusetzen, die verbliebenen Zeugnisse der bronzezeitlichen Antike aufzuspüren. Auf abenteuerlichen Wegen wurde er zum Wiederentdecker bzw. Erforscher von Troja, Mykene, Alba Longa und Mozia, Orchomenos, Tiryns sowie Alexandria. Seine Ausgrabungen lösten eine Reihe von weiteren archäologischen Forschungen aus und bildeten den Beginn der „Spatenwissenschaft", die bis heute andauert und dazu beigetragen hat, dass deutsche Wissenschaftler in dieser Disziplin als besonders kompetent gelten.

Von den akademisch vorgebildeten deutschen Altertums-wissenschaftlern wurde er lange als Scharlatan und fachlicher Laie abgelehnt, obwohl er von 1866 bis 1870 noch an der Pariser Sorbonne Literatur, Sprachen und Altertumswissenschaften studiert hatte und 1869 von der Universität Rostock zum Dr. phil. promoviert wurde. Er fand auch Befürworter. Der berühmte Arzt, Forscher und Politiker Rudolf Virchow wurde ihm zum Freund und begleitete ihn bei zwei seiner Ausgrabungen und einer Nilreise.

Heinrich Schliemann war in vielem eine einmalige Persönlichkeit. Was letztlich die Triebfeder für seine ungewöhnlichen Leistungen war, ist kaum mehr zu ermitteln. Vielleicht war es die auch in anderen Fällen bemerkenswerte Konstellation Brutaler Vater - Sanfte Mutter - Unglücklicher Sohn. Dass er es „allen zeigen" wollte, kann seinen Briefen und Tagebuchaufzeichnungen entnommen werden.

Den „ruchlos lebenden" Vater hat er zeitlebens mit Geldüberweisungen unterstützt. Mit seinen Geschwistern stand er in regem Briefkontakt. Die Familie bedeutete ihm viel. Wenig Glück hatte er in Liebesangelegenheiten. Seine beiden Jugendlieben Minna Heincke und Sophie Hecker nahmen sich andere Männer, kurz bevor er sich materiell im Stande sah, ihnen Heiratsanträge zu machen. Seine erste Frau, die Russin Jekaterina Petrowna Lyschina (1826 - 1896), von der er drei Kinder bekam, zeigte sich nach ihrer ersten Schwangerschaft nicht mehr an körperlichen Intimitäten mit ihm interessiert. 1869 ließ er sich von ihr scheiden und heiratete die 17jährige Griechin Sophia Engastromenos. Die gestand dem dreißig Jahre älteren Mann, ihn nicht aus Zuneigung, sondern auf Wunsch ihrer Eltern und seines Geldes wegen geheiratet zu haben. Das brauchte ihn indes nicht zu wundern, denn er hatte sich von einem Bekannten, dem Erzbischof von Athen, die Fotos von potentiellen Heiratskandidatinnen zusammenstellen lassen und danach seine Wahl getroffen.

So war Heinrich Schliemann, der 1890 in Neapel an den Folgen einer Operation starb, nicht nur ein begnadeter Aufsteiger und Geschäftsmann, ein Sprachgenie und Pionier der Feldarchäologie, sondern auch ein Beweis dafür, dass in keinem Leben alles gelingt oder vollkommen ist.

 

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Quellen:
- Justus Cobet: Heinrich Schliemann, Archäologe und Abenteurer, Verlag C. H. Beck, München, 2. Aktualisierte Auflage 2007
- Antonio Mingotti, Schliemann - Der Schatzsucher, Franz Schneider Verlag, München o. J.

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