Die Fährstraße reicht vom Alten Markt bis zum Hafen – damit verbindet sie in der Hansestadt das, was zusammengehört: Den Transport mit dem Handel. Erstmals 1270 urkundlich erwähnt, zählt sie zu den ältesten Straßen Stralsunds. Vom Markt hinunter führte sie schon damals direkt zum Anleger, wo die Fähre nach Rügen abging. Wegen der Gebäude und Persönlichkeiten, die hier wohnten, ist sie eine der historisch wertvollsten Straßen der Stadt. Das Fährtor, links an der Kneipe „Zur Fähre“, wurde 1874 auf Beschluss der Stadtverwaltung abgerissen. An der Fährbrücke stand außerdem das Äußere Fährtor, an dessen Seite ein steinerner Löwe wachte. Er zog vor dem Abriss in den Brunnenaue-Park um. Der Apotheker Carl Wilhelm Scheele (1742–1786), der den Sauerstoff entdeckte, kam 1742 als siebtes von elf Kindern in der Fährstraße zur Welt. Der Vater war Kaufmann, zeitweise ging es ihm fi nanziell schlecht, und als Carl Wilhelm drei Jahre alt war, musste das Haus in der Fährstraße versteigert werden. Die Familie zog zu Verwandten und in immer wechselnde Wohnungen. Dennoch schaffte es der Vater, diesen Sohn auf eine Privatschule zu schicken. Für seine Ausbildung als Apotheker ging Scheele 1757 nach Schweden. Er verließ die Hansestadt mit 14 Jahren und kehrte nie zurück.
Aber nicht nur für die Naturwissenschaften scheint das Klima in der Fährstraße geeignet zu sein: In der Fährstraße 25 wurde der Journalist und Dramatiker Heinrich Kruse (1815–1902) geboren, der 1895 von der Stralsunder Bürgerschaft zum Ehrenbürger ernannt wurde. Und der Freiheitskämpfer Ferdinand von Schill (1776–1809) ließ sein Leben hier in dieser Straße. Und heute? Die alte Straße ist zu schmal für parkende Autos und zweispurigen Verkehr, deshalb ist sie eine Einbahnstraße. Obwohl die Fährstraße nur einen Katzensprung weit entfernt vom Alten Markt liegt, ist es in der Saison einigermaßen ruhig. Wohltuend, nicht nur für Fußgänger. Im oberen Teil, direkt hinter dem Alten Markt, entwickelt sich seit einigen Jahren eine kleine Ladenzeile für Liebhaber des Individuellen, des Kunsthandwerks, der speziellen Dinge. Keine großen Schilder kündigen diese Geschäfte an, deshalb sind sie auf den ersten Blick schwer zu identifi zieren. Wer hier einen Laden besitzt, ist selbst anwesend.
Die Läden sind im besten Sinne „Inhaber geführt“. Eine Töpferei, in der Handwerk und Kunst eine Symbiose eingehen. Und um die Ecke (Fährstraße/Schillstraße) gibt es, in einem der ältesten Häuser Stralsunds, Blumen, Keramik, Kunst und Wein. In der Buchhandlung bekommt man „handverlesene“ Literatur. Und nebenan, in „Nadel + Faden“, stellt die Kunsthandwerkerin Nele Kühn edle Accessoires aus feinem Filz her. Auch webt sie selbst Tücher und Decken in zurückhaltenden Farben wie lichtgrau, anthrazit oder naturweiß. Teils arbeitet sie vor Ort und teils in ihrer Werkstatt auf Rügen daran.
Weitere Informationen:
Adresse:
Nadel + Faden
Fährstraße 26
18439 Stralsund
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Textquelle:
Pixberg, Sandra: Stralsund: Die 99 besonderen Seiten der Stadt, Reiseführer, Halle (Saale): Mitteldeutscher Verlag, 2019.
Bildquelle:
Ebd.