Als ich den Hafen von Lauterbauch erreiche, winken mir bereits duzende Arme von Bord der „Julchen" zu. Wieder einmal habe ich es geschafft, das „akademische Viertel „ voll auszureizen. Gerade noch rechtzeitig springe ich an Bord, der Motor läuft an und die letzte Leine wird losgemacht.
Zehn Minuten dauert die Überfahrt nach Vilm. Die Insel im Rügischen Bodden, soviel verrät unser Reiseleiter schon jetzt, ist gerade einmal 0,94 qkm klein und fast vollständig von dichtem Urwald bedeckt. An ihrer höchsten Stelle erhebt sich das Eiland gerade einmal 38 Meter über die Ostsee. Bei unserer Wanderung werden wir rund ein Drittel der Insel kennen lernen. Das klingt nach einem entspannten Spaziergang.
Ob auch der Erich hier residierte? Diese Frage hört unser Reiseleiter wahrscheinlich bei jeder Führung. Genauso, wie die Frage nach den extravaganten Sonderwünschen und den dekadenten Festen, die den Bonzen so nachgesagt werden. Die Insel, erklärt er uns, war dem Ministerrat vorbehalten. Und da Erich Honecker bekanntlich kein Minister war, wurde er auch nur selten hier gesehen. Wenn überhaupt kam er nur kurz mit seiner Frau Margot, die Ministerin für Volksbildung war, nach Vilm. Überhaupt sind die meisten Gerüchte um Vilm vollkommen aus der Luft gegriffen. Als nach rund 30 Jahren erstmals wieder Zivilisten die Insel besuchen durften, waren sie über die bescheidenen Unterkünfte enttäuscht.
Als wir wieder in den Wald eindringen spüre ich sofort die angenehme Kühle des schattenspendenden Laubes. An vielen Buchen und Eichen ist die Zeit nicht spurlos vorübergegangen, doch ist keiner der Bäume älter als 500 Jahre. Einst war Vilm eine wertvolle Quelle für Nutzholz zum Bau von Häusern und Schiffen. Der Mensch plünderte die Insel, bis 1527 nur noch sechs Bäume übrig waren.
Wir erreichen die nördliche Spitze der Insel. Hier liegen nur wenige hundert Meter seichtes Wasser zwischen Vilm und Rügen. Das wissen auch die Wildschweine, die regelmäßig zwischen den beiden Inseln hin und her pendeln. Auf der einen finden sie Ruhe und Abgeschiedenheit, auf der anderen das reichhaltigere Nahrungsangebot.
Durch dichten Farn geht es zurück zu unserem Ausgangspunkt. Noch einmal blicke ich auf das kleine Inselparadies und verliere den Anschluss an meine Gruppe. Als ich die Anlegestelle erreiche winken mir bereits duzende Arme von Bord der „Julchen" zu.
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Fotos: Sebastian Keßler