Was für Ernst Moritz Arndt Rügen war, sollte für Gerhart Hauptmann Hiddensee werden. D.h., dass Hauptmann Hiddensee als seine Wahlheimat bezeichnete, denn geboren wurde er in Schlesien. Bevor Hauptmann sich 1930 entschloss, das Haus „Seedorn" in Kloster zu erwerben, war er dort mehrere Jahre Gast. Erstmals war er auf Hochzeitsreise mit seiner zweiten Frau Margarete auf Kurzbesuch auf Hiddensee. Und von da an zog es ihn immer wieder in „das geistigste aller Seebäder".
Neben dem hier abgebildeten Gedicht schrieb Hauptmann auch „Die versunkene Glocke" (1897) und „Iphigenie in Delphie" (1900) auf der Ostseeinsel. Das Gedicht „Mondscheinlerche" ist durch die Natur der Insel inspiriert. Die erhabenen Beschreibungen der Natur Hiddensees werden durch das Symbol der Lerche versinnbildlicht: Sie ist die Verbindung zwischen Himmel und Erde, da sie sich senkrecht in die Lüfte erhebt aber auf dem Boden nistet. Die Erhabenheit, ja das göttliche wird durch die Stille der Nacht und den Gesang der Lerche bei Mondschein verstärkt. Und wie der Mensch auch, scheint die Lerche rastlos zu sein.
Mondscheinlerche
Von dem Lager heb' ich sacht
meine müden Glieder;
eine warme Sommernacht
draußen stärkt sie wieder.
Mondschein liegt um Meer und Land
dämmerig gebreitet;
in den weißen Dünensand
Well' auf Welle gleitet.
Unaufhörlich bläst das Meer
eherne Posaunen;
Roggenfelder, segenschwer,
leise wogend raunen
Wiesenfläche, Feld und Hain
zaubereinsam schillern;
badend hoch im Mondenschein
Mondscheinlerchen trillern.
"Lerche sprich, was singst du nur
um die Mittnachtsstunde?
Dämmer liegt auf Meer und Flur
und im Wiesengrunde."
„Will ich meinen Lobgesang
halb zu Ende bringen,
muss ich tag- und nächtelang
singen, singen, singen!"
G. Hauptmann, Hiddensee, den 29. Juli 1885