Meck-Pomm-Lese

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ALIDS Traum

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Zwölf fantasievolle und einfallsreiche Einhornmärchen erzählen von der Schwierigkeit des Miteinanders auf Erden seit Anbeginn der Zeiten bis heute.

Wie Prora entstanden ist

Wie Prora entstanden ist

Florian Russi

Besucher der Insel Rügen stehen staunend vor dem Ferienzentrum in Prora, das sich wie ein hässlicher steinerner Lindwurm vor der schönen Sandküste hinzieht. Auf ihre Frage, wie solch eine monströse Baureihe entstehen konnte, versucht die folgende Erzählung von Florian Russi eine Antwort zu geben.
Andreas Werner
 

Ein Führerbefehl und seine Folgen

 
Im Jahr 1933 kam im Deutschen Reich Adolf Hitler an die Macht. Kurz darauf schon herrschte er als Diktator über das Land. Er ließ sich „Führer" nennen und verbreiten, es sei germanisch-deutschen Tradition, dass der jeweilige Anführer eines Stammes oder Volkes über alle und alles bestimmen könne. „Führer befiehl, wir folgen" riefen seine Anhänger deshalb bei allen sich bietenden Gelegenheiten.

Prora-Ferienhäuser
Prora-Ferienhäuser

Der Führer hat die Deutschen und ihre Nachbarn in einen der blutigsten Kriege der Menschheitsgeschichte geführt. In den ersten Jahren seiner Regierung war er jedoch darauf bedacht, die Zustimmung vieler „Volksgenossen", wie er sie nannte, zu gewinnen. Deshalb tat er allerlei Dinge, die im Volk beliebt waren oder beifällig aufgenommen wurden.

Eine seiner volkstümlichen Maßnahmen war die Aktion „Kraft durch Freude". Zu deren Aufgaben gehörte es, auch wenig begüterten Familien erholsame Urlaube zu ermöglichen. „Auf in die Sommerfrische" war damals ein beliebter Appell.

Die langen und weiten Strände der Ostsee waren immer schon sehr begehrt und deshalb erteilte der Führer den Befehl, im Gebiet von Prora eine Kette von Ferienhäusern zu errichten. Für das erste Haus der Reihe entwarf ein Architekt ein Modell, das auf der Weltausstellung in Paris sogar mit einem ersten Preis ausgezeichnet wurde. Nach dem Muster des ersten Hauses sollten entsprechend alle weiteren sich daran anschließen. So baute man das erste, das zweite, das dritte  und das vierte Haus. Es entstand Platz für mehrere Hundert Erholungssuchende. Inzwischen hatte jedoch der 2. Weltkrieg begonnen, und der Führer verlor das Interesse an Prora. Als man die Ingenieure und Bauleute, die mit der Errichtung der Ferienkolonie beschäftigt waren, zum Kriegsdienst einberufen wollte, weigerten sie sich und beriefen sich auf den ihnen vom Führer persönlich erteilten Befehl. Also bauten sie weiter. Der Gauleiter von Pommern, Franz Reiner Unhold, wurde von der Reichwehr dringend ersucht, den Führer zu bitten, den Bauauftrag zu stoppen. Doch dessen jüngerer Bruder Fritz Volker war der Bauleiter, und so ließ sich der Gauleiter Zeit. Außerdem war der Führer nur für seine Heerführer zu sprechen.

Ferienzentrum Prora
Ferienzentrum Prora

So wurde das Vorhaben fortgesetzt, ein Block reihte sich an den anderen, jeder so eintönig und langweilig wie sein Vorgänger. Zur Einweihung des 24. Blocks entsandte der örtlich zuständige General seinen Adjutanten mit dem Auftrag, die Bauleute aufzufordern, ihr Projekt endlich zu beenden. Doch Fritz Volker Unhold ließ die Arbeiter feierlich antreten, mit Spaten und Hacke salutieren und immer wieder skandieren: „Der Führer hats befohlen, wir folgen". Entnervt zog sich der Adjutant in seine Kaserne zurück.

Schließlich stießen die Bauarbeiter bis an die Meeresküste und es erhob sich die Frage, wie dem Führerbefehl weiter Folge geleistet werden könne. Daraufhin trafen sich die Verantwortlichen zu einer Konferenz in einer Fischerhütte und fassten feierlich die „Fischerhüttenbeschlüsse". In ihnen wurde festgestellt, dass der Bau der Ferienhäuser um die ganze Insel Rügen herum fortgesetzt werden solle. Nach dem vom Führer versprochenen Endsieg im Krieg würden die heimkehrenden Soldaten und ihre Familien einen erhöhten Bedarf an Erholung haben.

Zur Umsetzung der Fischerhüttenbeschlüsse ist es dann nicht mehr gekommen. Nicht ein Führerbefehl war dafür der Grund, sondern das Fehlen von Beton und anderem Baustoffen. Der Führer hatte seinen Lieblingsarchitekten Albert Speer als Beauftragten für die Kriegswirtschaft eingesetzt, und der allein bestimmte nun darüber, wer welches Material bekam, und wer nicht.

Ostseestrand bei Prora
Ostseestrand bei Prora

Die Bauleute von Prora ließen nun Taucher den Meeresboden untersuchen, um festzustellen, ob und in welcher Form dort ihr Bauvorhaben weitergeführt werden könne. Dann war der Krieg zu Ende. Deutschland wurde gespalten und die Insel Rügen fiel an den östlichen Teil, der sich sozialistische „Deutsche Demokratische Republik" nannte.  

Bei deren neu gebildeter Regierung meldete sich Bauleiter Fritz Volker Unhold und schwärmte ihr vor, welch ein Potential für sozialistische Urlaubsplanung in Prora vor sich hin schlummerte. Die Regierung entsandte darauf den stellvertretenden Minister für das Bauwesen an die Küste. Der fand die Anlage interessant und durchaus Ideologie-konform. Allerdings meinte er, dass die DDR-Regierung kein Vorzeigeprojekt der Nationalsozialisten weiterführen könne. Die Regierung fasste den Beschluss, die Anlage zu sprengen.

Als der Bauleiter davon erfuhr, begann er heftig zu lachen. Die Sprengung wurde schon bald wieder abgesagt. Sachverständige hatten errechnet, dass der gesamte Sprengstoff, über den die DDR verfügte, und der an anderen Stellen bitter benötigt wurde, nicht ausreichen würde, um Proras Ferienwerk dem Erdboden gleich zu machen. Selbst wenn schwere Bomben auf die Häuser geworfen worden wären, hätte das wenig bewirkt. Hätte man Prora wirksam zerstören wollen, wäre ganz Rügen in Mitleidenschaft gezogen worden.

So lebt der Beton fort und der lange Sandstrand davor erfreut sich weiterhin großer Beliebtheit. Prora steht, und es fordert Kraft und Freude geradewegs heraus.

 

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Fotos: Florian Russi

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