St. Nikolai ist die älteste Kirche Stralsunds. Mit der Verleihung des Stadtrechts 1234 begannen die Bauarbeiten, jedoch veranlasste ein Brand oder der Einsturz die Erbauer dazu, die angefangenen Arbeiten am Chor wieder abzureißen. In reiner Backsteingotik errichtet, die Einheit von Politik und Kirche durch ihre Lage unmissverständlich anzeigend und von jeder Seite repräsentativ – das ist die Nikolaikirche am Alten Markt von außen unzweifelhaft. Nach 80-jähriger Bauphase war die, letztendlich nach französischem Kathedralenschema errichtete, Doppelturm-Kirche 1350 endlich fertig. 1662 brannten die gotischen Turmspitzen ab. Während der Südturm mit seiner barocken Haube über 100 Meter misst, bringt es der, bis heute nur ein flaches Notdach tragende, Nordturm nur auf 56 Meter. Was man aber von außen nicht sieht und bei der schlichten Backsteinarchitektur auch nicht erwartet: Das Innere der Kirche gleicht einer Schatzkammer für Kulturgüter. Reich verziert mit Statuen, Altären, Wandschmuck und Gemälden ähnelt der 85 Meter lange und 30 Meter hohe Kircheninnenraum einem Museum. Vor der Reformation gab es in dieser Kirche 56 unterschiedliche Altäre. Trotz des „Kirchenbrechens“, einer Welle der Zerstörung im Zuge der Reformation 1525, die alle Kirchen und Klöster der Stadt erfasste, wurde ein Großteil der wertvollen Inneneinrichtung erhalten. Der berühmten Statue Anna Selbdritt, vor 1280 aus Gips und Eichenholz gefertigt, fehlen seither Gliedmaßen sowie der Kopf des Heiligen Kindes.
Es handelt sich dabei um eine Darstellung der Heiligen Anna, der Mutter von Maria. Auf Annas Schoß sitzt die schon erwachsene Maria in verkleinertem Maßstab. Sie wiederum hält den neugeborenen Jesus im Arm. Sensationell ist, dass in dieser Kirche die älteste mechanische Uhr der Welt steht: Die Astronomischen Uhr von 1394. Der Zeitmesser zeigt einerseits ein Selbstbildnis des Erbauers Nikolaus Lilienfeld (ca. 1350–ca. 1420), der Mann mit rotem Bart, das als ältestes Uhrmacherporträt im deutschen Sprachraum gilt. Um das Zifferblatt herum malte Lilienfeld außerdem die zu seiner Zeit bedeutendsten Astronomen – Ptolemaius, König Alfons X., Hali und Albumasar. Die Uhr steht im Chor auf der Rückseite des Hochaltars. Neben vielen Epitaphen, Grabplatten und Kapellen ist die aufwendig verzierte Messinggrabplatte des Stralsunder Bürgermeisters Albert Hovener († 1357) sehenswert. Mit Szenen aus der Pelztierjagd und Wachsgewinnung ist das Gestühl der Rigafahrer von 1370 verziert. Ganz rechts steht ein hanseatischer Kaufmann, der wohl als Händler der Erzeugnisse aus Riga fungierte. Weiter hinten in der Kirche zeigt ein Krämergestühl die vier Evangelisten, die christlichen Tugenden – Glaube, Liebe, Hoffnung – sowie einen keulenschwingenden Wächter mit der erbaulichen Inschrift „Wer kein Kramer ist, bleibe draußen oder ich schlag ihm auf die Schnauze“. Das reich verzierte Portal gegenüber dem Rathaus, am „Buttergang“, ist in aller Regel verschlossen. Der Eingang in die Kirche befindet sich auf dem Alten Markt.
Weitere Informationen:
Adresse:
Auf dem St. Nikolaikirchhof 2
18439 Stralsund
Tel.: 03831 297692
Internetauftritt: www.kirche-mv.de
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Textquelle:
Pixberg, Sandra: Stralsund: Die 99 besonderen Seiten der Stadt, Reiseführer, Halle (Saale): Mitteldeutscher Verlag, 2019.
Bildquelle:
Ebd.