Meck-Pomm-Lese

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Es sind bewegte, ereignisreiche und unsichere Jahre: die Zeit des Krieges, der russischen Besetzung und der Aufbaujahre der DDR. Der etwas andere Bericht der Jahre 1940-1960, frisch erzählt, sozusagen "von Leber weg" mit allerlei Gelegenheiten zum Erinnern und Schmunzeln.

Klaus Beer:
Bewegte Jahre
ISBN 978-3-86397-037

Schule 1944 in Garz (Rügen)

Schule 1944 in Garz (Rügen)

Klaus Beer

Ein biographischer Bericht

Während des zweiten Weltkrieges war Lernen noch Auswendiglernen. Körperliche Züchtigung stand damals noch auf der Tagesordnung.
In der Schule haben wir alles bei Fräulein Graffunder. Ein Hüftleiden hat sie, ein „falsch eingeschraubtes Bein", wie Mutti sagt. Deshalb benötigt sie einen Krückstock. Er ist nicht nur Gehhilfe sondern auch Lehrmittel. Das Hersagen des Einmaleins wird durch taktmäßiges Klopfen auf den Boden unterstützt. „Heil Hitler", das sagt sie nicht. Auch neues, zukunftzugewandtes Liedgut wird nicht gelehrt. Stattdessen holt sie jeden Morgen ihre Geige aus dem Katheder und spielt: „Großer Gott, wir loben dich". Und alle haben mitzusingen.
Das Deutsche Lesebuch gibt es auch hier. Allerdings statt „Sträselkucha" nun

„Grow sünd wi Pommern, mach et sin,
wat grow is packt ook an.
Drüm äwen handfest as ick bün,
stah ick ook minen Mann..."

Bei der Wissensvermittlung lässt sich Fräulein Graffunder nicht auf neumodische Methoden ein. Auswendig wird bei ihr gelernt, und zwar fast alles: „Die Oder teilt Pommern in zwei Teile, Ostpommern und Westpommern. Sie tritt bei Nipperwiese in Pommern ein. Dann teilt sie sich in zwei Arme, Ostoder und Westoder. Die Ostoder fließt in den Dammschen See, die Westoder fließt durch Stettin. Sie treffen sich beide und fließen in das Große und Kleine Haff." So lehrt Fräulein Graffunder, bis es „sitzt". Vieles sitzt heute noch.
Zum Strafen bedient sie sich eines dreistufigen Systems: Kleinere Vergehen, wie z. B. ein stockend aufgesagtes Einmaleins, werden mit einem Schlag auf die Handfläche geahndet. Ein Lineal benutzt sie dazu. Für mittelschwere gibt´s was mit dem Rohrstock auf den Hintern. Bei schwersten Vergehen, solche wären grobe Unbotmäßigkeit oder Quatsch machen beim morgendlichen Choral, hat sie eine geflochtene Hundepeitsche im Katheder.

„Spuren" muss man bei Fräulein Graffunder, denn es wird nicht lange gefackelt. Leistung und Gehorsam, das verlangt sie. Eines Tages trifft sie Mutti mit Hasso auf der Straße: „Sind Sie die Mutter von Hasso Beer?!" Als Mutti bejaht: „Hasso kann nicht rechnen!" Grußlos humpelt sie weiter.
Wir haben es nicht leicht bei ihr. Das ändert sich schlagartig, als sie mitbekommt, dass die Frau, die in der Kirche so schön solo von der Empore herunter singt, unsere Mutter ist. Ab da haben wir nichts mehr auszustehen.

(Ausschnitt aus „Bewegte Jahre" von Klaus Beer.)

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Vorschaubild:

Grundschule in Garz auf Rügen, Gerhard Giebener, Wikipedia, ( CC BY 2.0 )

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