„Grow sünd wi Pommern, mach et sin,
wat grow is packt ook an.
Drüm äwen handfest as ick bün,
stah ick ook minen Mann..."
Bei der Wissensvermittlung lässt sich Fräulein Graffunder nicht auf neumodische Methoden ein. Auswendig wird bei ihr gelernt, und zwar fast alles: „Die Oder teilt Pommern in zwei Teile, Ostpommern und Westpommern. Sie tritt bei Nipperwiese in Pommern ein. Dann teilt sie sich in zwei Arme, Ostoder und Westoder. Die Ostoder fließt in den Dammschen See, die Westoder fließt durch Stettin. Sie treffen sich beide und fließen in das Große und Kleine Haff." So lehrt Fräulein Graffunder, bis es „sitzt". Vieles sitzt heute noch.
Zum Strafen bedient sie sich eines dreistufigen Systems: Kleinere Vergehen, wie z. B. ein stockend aufgesagtes Einmaleins, werden mit einem Schlag auf die Handfläche geahndet. Ein Lineal benutzt sie dazu. Für mittelschwere gibt´s was mit dem Rohrstock auf den Hintern. Bei schwersten Vergehen, solche wären grobe Unbotmäßigkeit oder Quatsch machen beim morgendlichen Choral, hat sie eine geflochtene Hundepeitsche im Katheder.
„Spuren" muss man bei Fräulein Graffunder, denn es wird nicht lange gefackelt. Leistung und Gehorsam, das verlangt sie. Eines Tages trifft sie Mutti mit Hasso auf der Straße: „Sind Sie die Mutter von Hasso Beer?!" Als Mutti bejaht: „Hasso kann nicht rechnen!" Grußlos humpelt sie weiter.
Wir haben es nicht leicht bei ihr. Das ändert sich schlagartig, als sie mitbekommt, dass die Frau, die in der Kirche so schön solo von der Empore herunter singt, unsere Mutter ist. Ab da haben wir nichts mehr auszustehen.
(Ausschnitt aus „Bewegte Jahre" von Klaus Beer.)