Wer durch die Kröpeliner Tor-Vorstadt, eines der beliebtesten Rostocker Stadtviertel, fährt, dem fällt ein Straßenname auf, der etwas ungewöhnlich ist: die Hundertmännerstraße. Haben etwa 100 Männer diese Straße oder die sich anschließende Brücke erbaut? Oder sind im angrenzenden Lindenpark, dem ersten zentralen Friedhof der Hansestadt, 100 Männer nebeneinander begraben? Die Geschichte der Hundertmänner ist sehr eng mit der Rostocker Stadtgeschichte verbunden.
„Rat der Sechziger“ als erste gewählte Bürgerschaft
Rostock war Mitte des 16. Jahrhunderts eine blühende und reiche Hansestadt. Auch Johann Albrecht I., Herzog zu Mecklenburg und Landesfürst, wollte mit Zustimmung der Ratsherren vom Wohlstand der Stadt profitieren und so eigene Schulden tilgen. Aber vor allem die aufstrebende Handwerkerschaft der verschiedensten Zünfte sprach sich dagegen aus und verlangte mehr Mitbestimmung bei den Entscheidungen, die der Rat der Patrizier, der vorwiegend aus altem Adel und Kaufleuten bestand, traf.
Ein Bürgerrat sollte gegründet werden, damit die Lasten zukünftig gerechter auf alle Bürger der Stadt verteilt würden. In der Jacobikirche wählten die Bürger der Stadt die erste gewählte Bürgerschaft, die aus 30 Kaufleute und Brauer und 30 Handwerker bestand.
Der Landesfürst reagierte verärgert
Dies missfiel natürlich den Ratsherren und auch dem Landesfürsten Johann Albrecht I., der daraufhin wenig später, im Oktober 1565 in Rostock einrückte, den „Rat der Sechziger“ verurteilte und deren Anführer köpfen ließ.
Die Stadt musste daraufhin hohe Strafzahlungen an den Landesfürsten aufbringen, was zu einem Niedergang des wirtschaftlichen Erfolges führte. Um diese für alle unerfreuliche Situation zu beenden, traten die Ratsherren im Jahr 1567 an die Handwerkerschaft heran, um einen Kompromiss zu schließen.
Das Hundertmänner-Kollegium entsteht
Seit 1584 bestand nun neben dem Rat der Patrizier das Hundertmänner-Kollegium, ein Bürgerausschuss aus 40 Handwerkern, 40 Brauherren und 20 Kaufleuten, der sich in vier Quartiere mit jeweils 25 Mitgliedern aufteilte. Die Handwerker kamen aus den vier großen Gewerken: den Schustern, den Schmieden, den Wollwebern und den Bäckern. Fortan wurden die Beschlüsse gemeinsam mit dem Rat gefasst, zum Wohle der Stadt.
Die Mitgliedschaft im Kollegium der Hundertmänner bestand auf Lebenszeit. Schied einer der Vertreter aus, bestimmten der Rat der Patrizier und die Hundertmänner gemeinsam über einen geeigneten Nachfolger.
Die Verfassung des Hundertmänner-Kollegiums belegt, dass der sogenannte Sechzehner-Ausschuss über kleinere Angelegenheiten wie auch über die laufenden Geschäfte zu entscheiden hatte. Rostocks Bevölkerung mit niedrigem Einkommen blieb aber auch mit der Bildung des Hundertmänner-Kollegiums wie vorher von einer Mitbestimmung ausgeschlossen.
Erneuter wirtschaftlicher Aufschwung
Die Bildung des Hundertmänner-Kollegiums führte zu einer innerstädtischen Befriedung, die es so seit mehreren Jahrhunderten nicht gegeben hatte. Endlich hatte die Hansestadt den Wünschen und Launen des Landesfürsten eine starke Macht entgegenzusetzen. Davon profitierte vor allem Rostocks Wirtschaft und mit deren Aufschwung auch die Stadtkasse.
Der Hansestadt ging es wieder gut. Ende des 16. Jahrhunderts lebten in Rostock rund 14 000 Einwohner, rund 800 Giebelhäuser und 250 bis 300 Brauhäuser zeugten von Wohlstand und Reichtum der Hansestadt.
Ende der Hanse und 30-Jährigen Krieg
Der 30-Jährige Krieg von 1618–1648 und das Ende der Hase Mitte des 17. Jahrhunderts beendete den wirtschaftlichen Aufschwung. Im Jahr 1627 besetzte Wallenstein Rostock, die fortan als Garnisonsstadt fungierte.
Mit Beginn der Herrschaft von Karl Leopold, Herzog von Mecklenburg-Schwerin, im Jahre 1713 war es mit der Zusammenarbeit von Rat und Hundertmänner zu Ende. Bürgermeister und Ratsherren wurden 1715 im Schweriner Schloss inhaftiert und die Hundertmänner in der sogenannten „Blauen Stube“ des Rostocker Rathauses eingesperrt und später ebenfalls nach Schwerin gebracht.
Erstes Rostocker Stadtrecht
Erst mit der Herrschaft von Ludwig II. im Jahr 1755 wurden die Streitigkeiten mit der Hansestadt Rostock durch den Abschluss eines neuen Erbvertrages beigelegt. Nur zwei Jahre später arbeitete das Hundertmänner-Kollegium das Rostocker Stadtrecht aus.
Inzwischen waren die Handwerkerzünfte so stark, dass sie die Hälfte der Sitze im Hundertmänner-Gremium beanspruchten und auch erhielten. Vertreter des Kollegiums durften fortan abberufen und neu bestimmt werden Das Hundertmänner-Kollegium bestand noch bis ins Jahr 1887, als es von der Bürgerschaft der Hansestadt Rostock abgelöst wurde.
Bildquelle:
Rostock zur Zeit der Gründung des Hundermänner-Kollegiums (1597), gemeinfrei