Dem deutschen Politiker und ehemaligen Reichskanzler Otto Eduard Leopold von Bismarck-Schönhausen (1815–1898), kurz Otto von Bismarck, wird eine ganz besondere Beziehung zu Mecklenburg nachgesagt. Diese lässt sich nicht ausschließlich auf das berühmte Zitat, wonach in Mecklenburg alles 50 oder 100 Jahre später passiert, zurückführen. Die Mecklenburger liebten ihren Reichskanzler, schufen ihm zu Ehren Denkmäler und Türme und sogar eine eigene Heringsdelikatesse. Und auch wenn Bismarck zu Lebzeiten nie wirklich lange Zeit in Mecklenburg gelebt hat, sondern vielmehr in Sachsen, Hinterpommern, Berlin oder Schleswig-Holstein zu Hause war, hält sich das Gerücht von der besonderen Liebe für Mecklenburg hartnäckig.
„Wenn die Welt untergeht, …
… so ziehe ich nach Mecklenburg, denn dort geschieht alles 50 (oder 100) Jahre später.“ Dieses Zitat wird Otto von Bismarck nachgesagt, der für seiner durchaus bissige Reden und Sprüche bekannt war. Spätestens als Harald Ringsdorf (1939–) im Jahr 2007 als damaliger Ministerpräsident dieses Zitat in einem Interview des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ benutzte, um die Besonderheiten seiner mecklenburgischen Heimat zu beschreiben, wurde es zum Symbol für eine angebliche Rückständigkeit Mecklenburgs und vor allem Vorpommerns. Dieser Ausspruch und die damit verbundene Beschreibung von Zuspätkommen, Rückschritt. Provinzialität und Hinterwäldlertum sitzt wie ein tiefer Stachel in der mecklenburgischen Seele.
Nur die wenigsten aber wissen, dass Bismarck dieses Zitat höchstwahrscheinlich zu Unrecht zugesprochen wird. Der Schweriner Stadtarchivar Bernd Kasten fand nach umfangreichen Recherchen einen Beleg dafür, dass 1919 der Sozialdemokrat Franz Starosson (1874–1919) im Schweriner Landtag Folgendes sagte: „Auch in Mecklenburg endlich wird die Demokratie Herr sein, hier bei uns in einem Lande, von dem man gesagt hat, dass alles 500 Jahre später kommen will.“ Statt „50“ sind also „500 Jahre“ belegt, und so lange hat die Entwicklung weder der Eisenbahn noch sonstigen Fortschritts in Mecklenburg und Vorpommern bisher gedauert.
Genauer betrachtet bringt das Zitat heutzutage sogar einen Standortvorteil für Mecklenburg und Vorpommern. Während woanders die Folgen von Industrialisierung und Klimawandel den „Weltuntergang bereits einläuten“, lässt es sich in Mecklenburg-Vorpommern noch gut 50 (oder 100) Jahre leben.
Ein Fisch für den Kanzler
Auch die Erfindung des Bismarckherings wird Mecklenburg-Vorpommern zugesprochen. Der Stralsunder Kaufmann und Fischhändler Johann Friedrich Wiechmann verkaufte neben frischem und geräuchertem Fisch auch den von seiner Ehefrau gebratenen und sauer eingelegten Ostseehering an seine Kunden. Zum Geburtstag des deutschen Reichskanzlers, den Wiechmann sehr verehrte, schickte ihm der Kaufmann die entgräteten und sauer eingelegte Heringsdelikatesse in einem Fässchen aus Holz. Der für kulinarische Leckerbissen bekannte Bismarck antwortete dem Fischhändler und bedankte sich mit einem persönlichen Brief für das Geschenk.
1871, im Jahr der Reichsgründung, schickte Wiechmann erneut ein Holzfässchen mit sauer eingelegten Ostseeheringen nach Berlin und bat Otto von Bismarck untertänigst, die von ihm kreierte Fischdelikatesse zu Ehren des ersten deutschen Reichskanzlers fortan ans Bismarckheringe verkaufen zu dürfen. Otto von Bismarck antwortete wiederum mit einem handschriftlichen Brief und gestattete die Namensgebung und fügte seinem Schreiben die Worte „Warum dann nicht auch ein Hering“ hinzu. Dieses zweite Schreiben Bismarcks hing bis 1944 in dem Fischladen der Wiechmanns eingerahmt an der Wand, verbrannte aber beim Bombenangriff auf Stralsund während des Zweiten Weltkrieges.
Von Bismarcks Vorliebe für den Ostseefisch zeugt auch heute noch sein oft zitierter Ausspruch: „Wenn Heringe genauso teuer wären wie Kaviar, würden ihn die Leute weitaus mehr schätzen.“ Heute wird die Wiechmannsche Tradition vom Fischhändler Henry Rasmus in Stralsund weitergeführt.
Denkmäler und Türme zu Ehren Bismarcks
Nach dem Tod Otto von Bismarck wurden vielerorts Denkmäler für den ersten deutschen Reichskanzler errichtet, so auch in Mecklenburg und Vorpommern. Eine besondere Form der Bismarckdenkmäler sind die Bismarcktürme bzw. Bismarcksäulen, von denen es bundesweit rund 150 geben soll. Die Türme oder Säulen haben verschiedene Gemeinsamkeiten: sie wurden alle um das Jahr 1900 auf Initiative von Studenten gebaut, haben einen quadratischen Grundriss und wurden aus Steinen der Region gebaut. Die meisten wurden auf Anhöhen errichtet und sind daher nicht nur von Weitem sichtbar, sondern auch als Aussichtspunkte nutzbar.
Auf dem Gebiet des heutigen Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern gab es insgesamt vier Bismarcktürme oder -säulen: in Heringsdorf auf der Insel Usedom, in Rostock, in Krakow am See und in Greifswald. Bis heute erhalten ist allerdings nur die Bismarcksäule in Greifswald, der als erster nach dem Typentwurf „Götterdämmerung“1899 erbaute Bismarckturm und damit Vorbild für 47 weitere dieser Bauart. An der Spitze der rund zehn Meter hohen Säule aus Granitfindlingen ist eine Feuerschale angebracht, in der zu besonderen Ereignissen Feuer entzündet werden.
Bismarck im Arbeitszimmer von 1886 - Scanned by --Immanuel Giel - CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=12...
Bismarckhering im Brötchen von GeoTrinity - Own work, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=47...